Zwangsarbeit in einem Kieswerk 1939 – 1945

(am Beispiel der Baufirma Habermann & Guckes)

7. Das Ende der Zwangsarbeit in Deutschland (1)

Das Einwohnermelderegister der Gemeinde Wattenbek gibt kaum Aufschlüsse darüber, wie und wann für die 34 Polen die Zeit ihres zwangsweisen Aufenthaltes in Deutschland endete. Für Stanislaw Opala (Łódź), Wladyslaw Pakulski (Łódź) und Edward Paluszczak (Poznań) ist immerhin noch vermerkt: „unbekannt verzogen“. Leopold Dzieeinchowiez (Łódź) ist am 8. April 1944 ins nahegelegene Dorf Negenharrie verlegt worden. Es ist anzunehmen, dass er hier in der Landwirtschaft arbeiten musste. Ansonsten sind wir wieder auf die Berichte von Samulczyk, Jesionek und Smoczynski angewiesen.

Janusz Smoczynski ist es bereits nach zwei Jahren gelungen, wieder in die Heimat zurückzukehren. Die Firma Habermann & Guckes bescheinigte ihm am 9. Juni 1942 in schriftlicher Form: „Anliegend überreichen wir Ihnen die gewünschte Entlassungsbescheinigung. Ihre Papiere, wie: Arbeitsbuch, Steuer- und Invalidenkarte, wurden am 5/6.42 ordnungsgemäß dem Arbeitsamt Neumünster überwiesen, von wo Sie sich dieselben im Bedarfsfalle bitte anfordern wollen. Heil Hitler!“ Es folgen die Unterschriften von Bauführer Torke und Betriebsführer Grimm.

Bescheinigung für Smoczynski durch H & G

Damit war Smoczynski aber noch lange kein freier Mann. Er wurde den Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken (DWM) in Poznań als Arbeitskraft zugewiesen. Dort arbeitete auch sein Vater, und der hatte sich intensiv um eine Rückkehr seines Sohnes bemüht: „Ich habe meinen zweiten, zwei Wochen langen Urlaub in Anspruch genommen. Dank des Briefkontaktes meines Vaters mit Herrn Torke musste ich nicht wieder zurück zur Arbeit. Herr Torke hat entschieden, mich zu entlassen, und hat meine Papiere zurück an das Arbeitsamt in Posen abgeschickt.“[7-1] Es ist anzunehmen, dass der hier geschilderte Sachverhalt nicht ganz den Tatsachen entspricht: Bauführer Torke wird in dieser Angelegenheit nicht entscheidungsberechtigt gewesen sein. Für einen solchen Arbeitsplatzwechsel war die Zustimmung der beteiligten Arbeitsämter notwendig.

In diesem Fall wird man auch davon ausgehen können, dass der Rüstungsbetrieb DWM in Poznań dringend zusätzliche Arbeitskräfte benötigte. Ansonsten hätte Janusz Smoczynski Schleswig-Holstein nicht so schnell wieder verlassen können. Im Juni 1944 war es bei DWM in Poznań soweit, dass die polnischen Arbeiter 72-Stunden-Wochen leisten mussten. Der Rüstungs-Obmann des Betriebes teilte mit, dass er jeden Monat „etwa 20 Mann“ verlieren würde, die an Tuberkulose erkrankt seien. Weitere 40 seien ihm im letzten Monat durch die Staatspolizei „weggenommen“ worden, und es sei „mit weiteren entsprechenden Abzügen zu rechnen“. Durch diese Situation werde nach seiner Ansicht „die Aufrechterhaltung des Betriebes auf die Dauer gefährdet“.[7-2] Diese Angelegenheit macht den Widersinn, die Planlosigkeit und die Menschenverachtung der deutschen Behörden in Bezug auf den Einsatz von zivilen Zwangsarbeitskräften aus Polen deutlich: Aus den „eingegliederten Ostgebieten“ sollten die Polen zunächst aus rassischen Gründen alle ins „Generalgouvernement“ abgeschoben werden.[7-3] Dann stellte man fest, dass die Arbeitsfähigen unter ihnen doch direkt ins „Altreich“ deportiert werden könnten,[7-4] und letztendlich wunderte man sich auf einmal, dass die in den Reichsgauen Wartheland und Danzig-Westpreußen als Kriegsgewinnler tätigen deutschen Wirtschaftsbetriebe nicht in ausreichendem Maße Arbeitskräfte finden konnten.[7-5]

Außer Smoczynski mussten alle anderen Polen in Wattenbek bleiben und haben um die Jahreswende 1943/44 die Schließung des Kieswerkes in Brüggerholz miterlebt. Die Kiesgruben waren zu diesem Zeitpunkt weitgehend ausgebeutet und sollten nun umfassend renaturiert werden. Der Holsteinische Courier hatte dazu bereits im Juli 1939 in seinem großen Bericht über den aufstrebenden Industriebetrieb Habermann & Guckes geschrieben: „Um es gleich hier zu sagen: man baut mit der anfallenden Erde das Hügelgelände nach Möglichkeit wieder auf. Es wird auch wieder mit jungen Waldbäumen bepflanzt, so daß die ursprüngliche Landschaftsform mit aller Sorgfalt wieder hergestellt wird. Bei der Auseinandersetzung mit den Landbesitzern – sie erhalten einen gewissen Prozentsatz des Bruttogewinns – wird eine bestimmte Summe für die Aufforstung abgezweigt.“[7-6] Die Firma hat sich an diese Vereinbarung gehalten und nicht nur die Kiesgruben wieder aufgefüllt, sondern auch die ausgedehnten Kiesverarbeitungsanlagen einschließlich des kilometerlangen Schienennetzes der Schmalspurbahn bis auf den letzten Rest beseitigt. Unter den damaligen Bedingungen des Krieges wäre es durchaus denkbar gewesen, dass die Firma Habermann & Guckes sich „ungeordnet“ aus dem Kiesabbaugebiet zurückgezogen hätte. Dem war aber nicht so. Heute erinnert nichts mehr daran, dass in Brüggerholz vor 70 Jahren Kies abgebaut worden ist.

Die verbliebenen Zwangsarbeiter aus Polen werden zum Teil bei den Abbrucharbeiten eingesetzt worden sein. Viele von ihnen erhielten aber jetzt ihren Arbeitsplatz in Kiel, denn Habermann & Guckes war dort beim Bau des U-Boot-Bunkers „Konrad“ engagiert. Die Firma „war für die kaufmännische Bearbeitung zuständig. Sie stellte einen Teil der Baumaschinen, den zweiten Bauleiter [sowie] deutsches und ausländisches Baupersonal“.[7-7] Stanislaw Jesionek gehörte zu denjenigen, die ab 1944 jeden Morgen zum Bordesholmer Bahnhof marschierten und dann mit dem Zug nach Kiel fuhren. Sie mussten beim Bunkerbau helfen oder wurden zu anderen Arbeiten auf dem Gelände der Deutschen Werke Werft (DWK) eingesetzt. Dort herrschten ganz andere Verhältnisse als in den Kiesgruben von Brüggerholz: Der Rüstungsbetrieb DWK beschäftigte zur damaligen Zeit in seinem Werk in Kiel-Gaarden rund 2.000 ausländische und 12.000 deutsche Arbeiter. Das Werk der DWK in Friedrichsort verfügte über weitere 4.000 Beschäftigte, davon waren ca. 1.000 Zwangsarbeiter aus dem Ausland. Bei der Kriegsmarinewerft (KMW) war die Anzahl der Zwangsarbeiter noch höher, sie betrug rund 4.000 Personen. Das waren etwa 20 % aller Beschäftigten der KMW.[7-8]

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[7-1] Brief vom 30.7.1994.

[7-2] Documenta Occupationis XIII (wie Anm. 4-8), S. 274.

[7-3] Die Gauleiter in den „Eingegliederten Ostgebieten“ wetteiferten offensichtlich darum, wer als erster aus seinem Gau alle Polen vertrieben hätte. Das war nicht unbedingt im Sinne von Adolf Hitler. Er ging 1939 davon aus, dass das Ziel der „restlosen Entpolonisierung“ in zehn Jahren erreicht sein sollte. (Martin Broszat: Nationalsozialistische Polenpolitik 1939–1945. Stuttgart 1961. S. 85 und S. 130 unten, Anmerkung 3.)

[7-4] „Auf diese Weise gelangten schon 1940, vor allem aber später, als die Massendeportation ins GG gestoppt war, Tausende der in den eingegliederten Ostgebieten ausgesiedelten Polen unmittelbar als Arbeitskräfte ins Reich, während die für den Arbeitseinsatz dort nicht in Frage kommenden Familien, bzw. Familienangehörigen ins GG abgeschoben bzw. in den eingegliederten Ostgebieten anderweitig untergebracht wurden.“ (Broszat, wie Anm. 7-3, S. 104)

[7-5] Der Betriebsführer der zu Brown Boveri gehörenden Elektrotechnischen Werke in Zychlin schrieb im September 1941 an den Rüstungsinspektor des Wehrkreises XXI in Poznań, dass „weder jetzt noch künftig auf die polnischen Arbeitskräfte verzichtet werden kann“. Es müsse in Bezug auf den Abtransport von Arbeitskräften aus dem Wartheland „ein gangbarer Ausweg gefunden werden. Für uns ist das Primäre unserem Vaterland durch Sicherung und Hebung der Kriegsfertigungen den Sieg zu ermöglichen, alles andere muss hinter diesem Zweck zurückstehen“. (Documenta Occupationis XIII, wie Anm. 4-8, S. 248; siehe zu dieser Problematik dort auch S. 263 und S. 267)

[7-6] HC vom 8.7.1939.

[7-7] Sönke Neitzel: Die deutschen Ubootbunker und Bunkerwerften. Koblenz 1991. S. 93; Der U-Boot-Bunker 'Konrad' wurde vom April 1943 bis Ende Oktober 1944 auf dem Gelände der DWK gebaut. Jörg Tillmann-Mumm (wie Anm. 5-9), S. 78, Anm. 229.

[7-8] Zahlenangaben von Jörg Tillmann-Mumm (wie Anm. 5-9) im Anhang S. XVI.