Zwangsarbeit in einem Kieswerk 1939 – 1945

(am Beispiel der Baufirma Habermann & Guckes)

4. Die Umstände des Abtransports

Aus der obigen Tabelle wird deutlich, dass alle im Jahre 1940 eingetroffenen Zwangsarbeiter der Firma Habermann & Guckes aus dem „Reichsgau Wartheland“ und damit aus den „Eingegliederten Ostgebieten“ stammten. Sie sind nicht erst ins „Generalgouvernement“ verschleppt worden, sondern direkt aus ihren Heimatorten ins „Altreich“. Bei der ersten Gruppe der Eingetroffenen handelte es sich um Männer aus Łódź bzw. „Litzmannstadt“, wie die Deutschen den Ort nannten. Die zweite Gruppe kam ein paar Tage später aus Poznań (Posen) nach Bordesholm. Und die dritte Gruppe wurde von 15 Männern aus Włocławek (Leslau) gebildet, die möglicherweise bereits einen Aufenthalt im Kreis Segebeg hinter sich hatten: Im Einwohnermelderegister von Wattenbek ist bei allen aus Leslau stammenden Personen als „Letzter Aufenthaltsort“ Traventhal angegeben. Die oben erwähnten Karteikarten, von denen jeweils ein Exemplar von der Rendsburger Kreisverwaltung[4-1] aufbewahrt wurde, geben dazu weiteren Aufschluss, denn dort ist vermerkt, dass die Männer für einen Arbeitseinsatz bei der „Wassergenossenschaft mittlere Trave“ in Traventhal im Kreis Segeberg „vorgesehen gewesen“ seien. Es lässt sich also vermuten, dass alle 34 polnischen Zwangsarbeiter von Habermann & Guckes zu den 126.000 Personen gehört haben, die vom September 1939 bis zum Juli 1940 aus den annektierten polnischen Gebieten direkt nach Deutschland deportiert worden sind.[4-2]

Im Jahre 1994 ist es dem Verfasser gelungen, über die Deutsch-Polnische Gesellschaft für Aussöhnung in Warschau Kontakt zu Ryszard Samulczyk, Stanislaw Jesionek und Janusz Smoczynski aufzunehmen.[4-3] Diese drei Herren sind dann im Oktober 1995 aufgrund einer Einladung der Gemeinde Wattenbek noch einmal an ihre alte „Wirkungsstätte“ zurückgekehrt. Von ihnen wissen wir Näheres darüber, wie sie 1940 nach Deutschland gekommen sind. 

obere Reihe von links: Filipiak, Paluszczak, Dzieeinchowiez, Rosiak, 

untere Reihe von links: Piasecki, Samulczyk, Smoczynski, Jesionek

Der damals 27-jährige Samulczyk war verheiratet, hatte ein Kind und gehörte zu den älteren der 13 Männer aus Łódź, deren Durchschnittsalter 24,5 Jahre betrug. Im Januar 1995 schrieb er dem Verfasser: „Im Mai 1940 kehrte ich aus der Stadt zurück und wurde in der Straße des 6. August, Nr. 96, angehalten, wo sich die Kaserne des deutschen Militärs befand. Es handelte sich um Soldaten, die zu Pferd unterwegs waren. Ich wurde zum Stall geführt und wurde aufgefordert, die Pferde zu säubern, den Dreck wegzuschaffen und das Heu zu wechseln. Abends wurden die Personalien von den aufgehaltenen Personen aufgenommen und uns wurde klargemacht, dass wir uns an einem bestimmten Tag (das Datum habe ich vergessen) am Bahnhof Łódź-Kaliszka einfinden müssen, von wo wir mit dem Zug in die Provinz Rzesz, mit dem Ziel der Beschäftigung an einem zur Zeit noch nicht bekannten Arbeitsplatz, gebracht werden sollten. Nach dieser Ankündigung wurden wir nach Hause entlassen, jedoch mit der Warnung, dass im Falle eines Nichteintreffens am vorgegebenen Datum und Ort repressive Schritte gegen die gesamte Familie vorgenommen werden. Gemäß der Ankündigung fand ich mich an dem Tag auf dem vorgesehenen Bahnhof ein und erblickte zwischen der Menschenmasse zwei meiner Nachbarn. Es waren Wladislaw Pakulski und Hermann Matuszewski, die ebenfalls auf dem Heimweg angehalten worden waren. Nach gewisser Wartezeit wurden wir auf einen Güterwaggon aufgeladen, der für den Menschentransport umgebaut und angepasst worden war. Für den Transport wurden auch Gendarmeriefunktionäre zugeteilt. Unsere Fahrt führte durch Berlin und Hamburg bis nach Itzehoe (wenn ich mich recht erinnere). In dieser Stadt wurden wir in einem deutschen Lager, in dem sich polnische Soldaten (Gefangene) befanden, einquartiert. In diesem Lager wurden wir medizinisch untersucht, danach wurden uns alle Haare abgeschnitten und wir durften baden. Danach wurden wir auf einen Zug aufgeladen und nach Neumünster gebracht. Unter Bewachung wurden wir zum Arbeitsamt geführt, wo uns die Arbeitsplätze zugeteilt wurden. Ich, d.h. Samulczyk, Pakulski und Matuszewski wurden nach Bordesholm zu den Kieswerken Habermann & Guckes gebracht, wo wir [...] in der Baracke[nstube] Nr. 3 [...] gewohnt haben.“[4-4]

Der damals zwanzigjährige Stanislaw Jesionek stammte ebenfalls aus Łódź. Er schrieb dem Verfasser im Juni 1994: „Ich bin aufgehalten worden auf der Straße und [wurde] mit einer Gruppe von jungen Leuten ins Kommissariat (Polizeirevier) geführt. Nach Ausweis vorzeigen haben die festgestellt, dass ich nirgendwo arbeite. Dann hat man mir den Termin genannt, um nach Deutschland zu kommen zur Zwangsarbeit.“[4-5] Jesionek wurde nach eigenen Angaben in einem Personenzug von Łódź nach Itzehoe in eine Militärkaserne gebracht, „wo nach Baden, Haare schneiden und Rasieren (überall) unsere Kleidung dampfgebügelt und thermisch sterilisiert“ wurde. Anschließend „hat man uns nach Neumünster gefahren. Dort warteten schon die Käufer, Geschäftsleute aus dem Kieswerk Habermann & Guckes. Sie wollten einen Dreher, einen Schlosser und neun Arbeiter. Zusammen elf Männer aus Łódź. Anschließend sind wir zur Baracke nach Bordesholm gefahren“.[4-6]

Janusz Smoczynski gehörte mit fünf anderen jungen Männern zu einer Gruppe aus Poznań, die mit 18,2 Jahren ein sehr geringes Durchschnittsalter aufwies. Es handelte sich um Jugendliche, die bei Kontrollen ebenfalls dadurch aufgefallen waren, dass sie keinen festen Arbeitsplatz nachweisen konnten. Diesen bekamen sie jetzt vom Arbeitsamt – zwangsweise und fern der Heimat. Smoczynski schrieb im Juli 1994 an den Verfasser: „Ich bin [im Mai 1940] in Posen auf offener Straße verhaftet worden und man hat mich zum Kommissariat der Schutzpolizei (Schupo) gebracht, weil ich keine Arbeitsbescheinigung hatte. Ich hatte mich [bis dahin vergeblich] um eine Stelle bei DWM bemüht, wo mein Vater arbeitete.“[4-7] Die Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken (DWM) hatten bereits 1939 die Lokomotiv- und Waggonfabrik H. Cegielski in Poznań in Besitz genommen. Es handelte sich um den größten der im annektierten Polen beschlagnahmten Betriebe.[4-8]

Das Verhör auf dem Polizeirevier dauerte zwei Stunden. Außer Smoczynski waren mehr als zehn weitere junge Männer von der Prozedur betroffen. Sie wurden schließlich alle auf einen Wagen geladen und zum Übernachten in eine Kaserne gefahren. Am nächsten Morgen erfolgte eine gründliche Durchsuchung nach Kopfläusen. Das war offensichtlich die für Zwangsarbeiter vorgesehene intensive ärztliche Untersuchung. Die Inhaftierten wurden anschließend unter strenger Bewachung von Schutzpolizisten zum Bahnhof eskortiert und dort in Bahnwaggons eingeschlossen. Smoczynski hatte es durch fremde Hilfe erreicht, dass seine Eltern ihm noch einen Koffer mit Kleidung an den Zug bringen konnten. Der Transport von Poznań erfolgte über Berlin und Hamburg nach Neumünster. Unterwegs wurden immer mal wieder Waggons mit Zwangsarbeitern abgehängt, die ihren Zielort im „Altreich“ bereits erreicht hatten. Von dem ebenfalls aus Poznań stammenden Stanislaw Piasecki wird berichtet, dass er beim Sonntagsspaziergang am Ufer der Warthe von Gestapo-Beamten festgenommen worden sein soll. Er wurde auf das Gelände der DWM verbracht, durfte zwischenzeitlich nicht noch einmal nach Hause, und nach drei Tagen sei sein Abtransport nach Deutschland erfolgt.[4-9] Aufgrund der Eintragungen im Melderegister von Wattenbek ist anzunehmen, dass Smoczynski und Piasecki zeitgleich in Neumünster angekommen sind. Sie mussten hier auf einen Lastwagen umsteigen und sind dann nach Bordesholm bzw. Wattenbek gebracht worden.[4-10] In der dortigen Wohnbaracke waren zu diesem Zeitpunkt bereits die Männer aus Lodz anwesend.

Von Samulczyk und Jesionek haben wir (unabhängig voneinander) den Hinweis erhalten, dass eine Kaserne in Itzehoe im Frühjahr 1940 als Durchgangslager für Zwangsarbeiter in Schleswig-Holstein diente. Das Durchgangslager des Arbeitsamtes in Neumünster hat seine Arbeit erst zwei Jahre später aufgenommen.[4-11] Die Kaserne in Itzehoe soll zusätzlich mit polnischen Kriegsgefangenen belegt gewesen sein. Somit kann es sich nur um die von 1934–1937 neu errichtete Gallwitz-Kaserne handeln. Sie befand sich auf dem heutigen Gelände „Am Klosterforst”, d.h. nördlich der Straße „Langer Peter”. Dort war zur damaligen Zeit ein Kriegsgefangenen-Arbeitskommando mit 100 Polen stationiert.[4-12] Ob die sechs Jugendlichen aus Poznań auch in Itzehoe Zwischenstation machen mussten, konnte nicht geklärt werden.

Über die Gruppe der 15 Männer aus Włocławek wissen wir leider nur sehr wenig, da es nicht gelungen ist, zu einem von ihnen Kontakt aufzunehmen. Aber die obige Tabelle vedeutlicht bereits, dass sie mit 36,5 Jahren im Durchschnitt wesentlich älter waren als die Männer aus Poznań und Łódź. Mindestens sieben von ihnen waren verheiratet und hatten Kinder: Josef Hoppe 1 Kind, Anton Gajewski 1 Kind, Kasimir Dyszelski 1 Kind, Jan Chojnowski 1 Kind, Joseph Borowski 2 Kinder, Joseph Cieniecki 2 Kinder und Joseph Koltunski 4 Kinder. Es handelte sich somit zum größten Teil um Familienväter, die höchstwahrscheinlich in ihrer Heimat nicht alle arbeitslos gewesen sind. Der Bürgermeister von Wattenbek hat alle 15 als Tiefbauarbeiter eingestuft. Die Kreisverwaltung Rendsburg nahm es etwas genauer und wählte als Berufsbezeichnung Wasserstraßenarbeiter. Da Włocławek unmittelbar an der Weichsel liegt, ist es durchaus möglich, dass alle 15 tatsächlich im Wasserstraßenbau tätig gewesen sind. Vielleicht hat es sich sogar um Facharbeiter gehandelt, die vom Arbeitsamt in Leslau bewusst ausgesucht worden sind, um als Spezialisten auf diesem Gebiet im „Altreich“ eingesetzt zu werden. Der Hinweis auf den Karteikarten, dass die Männer für die „Wassergenossenschaft mittlere Trave“ vorgesehen waren, lässt Derartiges vermuten.

Zur Rolle der deutschen Arbeitsämter bleibt anzumerken, dass diese „im Tross“ der Soldaten die Grenze überschritten[4-13] und sich somit direkt am Überfall auf Polen beteiligt haben. „Als am 1. September 1939 die deutschen Truppen in das Gebiet des jetzigen Reichsgaues Danzig-Westpreußen vordrangen, stieß das Landesarbeitsamt Danzig sofort hinter der kämpfenden Truppe vor, um in allen wichtigen Städten Arbeitsämter einzurichten, die durcheinandergewürfelte und größtenteils arbeitslose polnische Bevölkerung zu sammeln und zu erfassen, die liegengebliebene Ernte zu bergen, die tausende und abertausende von verwaisten Bauernhöfen mit Arbeitskräften zu versehen, damit das Vieh sofort versorgt und auch die Herbstbestellung durchgeführt werden könne.“[4-14] Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass bereits am 3. September in Dirschau und auch im oberschlesischen Rybnik Arbeitsämter eröffnet werden konnten. In Łódź dauerte es noch bis zum 12. September, bis das Arbeitsamt auch hier seine Tätigkeit aufnahm.[4-15] Schon bald sollte es die wichtigste Aufgabe der Arbeitsämter werden, Transporte mit arbeitsfähigen Polen für den Einsatz im „Altreich“ zusammenzustellen.

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[4-1] Ein Teil der „Kartei der ausländischen Zivilarbeiter im 2. Weltkrieg“ des Kreises Rendsburg ist 1977 von Rolf Schwarz auf dem Boden des alten Kreishauses in Rendsburg gefunden worden. Die Karteikarten können heute in fotokopierter Form im Landesarchiv in Schleswig eingesehen werden (LAS Abt. 320 RD ungeordnet, Bd. 286, Nr. 10-24). Die Originale befinden sich beim Internationalen Suchdienst (International Tracing Service) ITS in Arolsen bei Kassel.

[4-2] „Nacht über Europa“. Die faschistische Okkupationspolitik in Polen (1939–1945). Köln 1989. S. 360. Die Zahlenangabe 126.000 ist quellenmäßig nicht weiter belegt. Im selben Zeitraum sollen 319.000 Polen aus dem „Generalgouvernement“ ins „Altreich“ verbracht worden sein. Nach Herbert (wie Anm. 3-1), S. 91 sind es 279.333 Personen aus dem „Generalgouvernement“ gewesen.

[4-3] Vgl. dazu Uwe Fentsahm: Auf den Spuren der polnischen Zwangsarbeiter in Wattenbek – oder: Die etwas andere Urlaubsreise, in: Mitteilungen des Geschichtsvereins für das ehemalige Amt Bordesholm, Heft 4 (1995), S. 9ff.

[4-4] Brief an den Verfasser vom 5.1.1995. Siehe auch den Bericht über Ryszard Samulczyk in den Kieler Nachrichten (KN) vom 28.04.1995. Alle erwähnten Briefe sind freundlicherweise von Frau Ilona Grzunka aus Wattenbek schriftlich übersetzt oder auf Tonband gesprochen worden.

[4-5] Brief von Stanislaw Jesionek an den Verfasser vom 13.6.1994.

[4-6] Brief von Stanislaw Jesionek an den Verfasser vom 9.3.1994.

[4-7] Brief an den Verfasser vom 30.7.1994.

[4-8] Documenta Occupationis XIII, hrsg. von Czeslaw Luczak und Wybor Zrodel. Poznan 1990. S. 219.

[4-9] Angaben von Frau Piasecki gegenüber dem Verfasser am 4.8.1994 (siehe dazu Fentsahm, wie Anm. 4-3, S. 17ff.).

[4-10] Brief von Janusz Smoczynski an den Verfasser vom 30.7.1994.

[4-11] Konkrete Pläne für die Errichtung eines Durchgangslagers in Neumünster waren bereits im Januar 1942 vorhanden. Die Inbetriebnahme muss im Frühsommer desselben Jahres erfolgt sein. Das ergibt sich aus einem Schreiben des Arbeitsamtes Neumünster vom 24. Juli 1942, in: LAS Abt. 581.7 Nr. 517. Siehe auch: Stadtarchiv Neumünster Nr. 3078.

[4-12] Gerhard Hoch/ Rolf Schwarz (Hrsg.): Verschleppt zur Sklavenarbeit, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter in Schleswig-Holstein. Alveslohe und Nützen 1985. S. 188.

[4-13] Herbert (wie Anm. 3-1), S. 67.

[4-14] Hier äußert sich der Präsident des Landesarbeitsamtes Danzig-Westpreußen: Der Eilmarsch der Arbeitseinsatzverwaltung in Polen, in: Reichsarbeitsblatt, Teil V, 1940, S. V 106.

[4-15] Angaben von Ministerialdirigent Dr. Rachner: Arbeitseinsatz und Arbeitseinsatzverwaltung in den besetzten Gebieten,  in: Reichsarbeitsblatt, Teil II, 1939, S. II 371.